Projekat Rastko - Luzica / Project Rastko - Lusatia  

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Dietrich Scholze

Sorbische Literatur 1918 – 1945

Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs das Selbstbewusstsein der sorbischen Schriftsteller und Künstler. In den zwanziger Jahren konnten sie ihre Werke relativ frei veröffentlichen, staatliche Hilfe aber gab es in der Regel nicht. 1923 wurde der „Ko³o serbskich spisowaæelow“ („Kreis sorbischer Schriftsteller“) wieder gegründet, der im Jahr 1900 schon einmal kurz bestanden hatte. Die Autoren schrieben u. a. für die „Serbske Nowiny“, die ab 1920 als obersorbische Tageszeitung erschienen, und für die Kulturzeitschrift „£užica“. Tschechische Freunde der Sorben unterstützten die Herausgabe bescheidener Buchreihen, in denen Gedichte, Erzählungen und wissenschaftliche Studien auf Sorbisch gedruckt werden konnten. Für die laufende Produktion von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften sorgte vor allem „Smolerjec knihiæišæernja a kniharnja“ („Smoler’sche Buchdruckerei und Buchhandlung“) im Bautzener Wendischen Haus, die weiterhin von Marko Smoler geleitet wurde. Sorbische Bücher erreichten in der Zwischenkriegszeit Auflagen von durchschnittlich 400 – 500 Exemplaren, die Zeitung „Serbske Nowiny“ hatte rund 3000 Abonnenten. Der größte Nachteil gegenüber deutschsprachigen Publikationen lag beim Vertrieb, denn lediglich in Bautzen existierte eine sorbische Buchhandlung.

Die verzögerte Entwicklung der sorbischen Literatur bewirkte, dass die Autoren seit der nationalen Wiedergeburt häufig Stilelemente aus anderen literarischen Epochen miteinander verbanden. Bei den osteuropäischen Völkern – insbesondere den Slawen – korrespondierte das Ringen um politische Selbstbestimmung mit den Ideen und Idealen der Romantik. Da die Lausitzer Sorben keinen eigenen Staat erhielten, blieben romantische Tendenzen in ihrer Literatur bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fruchtbar. Das gilt auch für den ältesten und erfahrensten sorbischen Schriftsteller der Periode 1918 – 1945. Jakub Lorenc-Zalìski (1874–1939) hatte bereits in seiner frühen Erzählung „Serbscy rjekowje“ („Sorbische Helden“, 1900) eine typisch romantische Strategie gewählt. Er beschrieb den Kampf elbslawischer Stämme gegen feudale deutsche Eroberer. Die Erinnerung an die frühe, mythische Geschichte des Volkes sollte bei den Lesern Nationalstolz wecken. 1924 beendete Lorenc-Zalìski sein bedeutendstes Werk, den „Roman einer suchenden Seele“ mit dem Titel „Kupa zabytych“ („Die Insel der Vergessenen“, 1931). Nach Jakub Bart-Æišinski vollzog damit ein weiterer sorbischer Schriftsteller dem Übergang von der Romantik zur Moderne: Das mystisch-fantastische Tagebuch versinnbildlicht die Suche nach dem Sinn des Lebens, den der Ich-Erzähler schließlich im Einsatz für die sorbische Sache findet.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg war es Micha³ Nawka (1885–1968) gelungen, eine Reihe kritisch-realistischer Erzählungen zu veröffentlichen, wie sie um 1848 Jan Wjela-Radyserb für die Lausitz begründet hatte. In dieser Prosa fiel eine traditionell agrarische, antibürgerliche Haltung auf, die – ganz im Sinne von Æišinskis nationalem Programm – den sorbischen Bauern auf eigener Scholle feierte. Im Zentrum von Nawkas späterem Schaffen stand jedoch die Lyrik aller Genres: Über Jahrzehnte hinweg war der Lehrer und Sprachkenner der wichtigste sorbische Gelegenheitsdichter für Erwachsene und Kinder. Seine enge Beziehung zur Folklore führte dazu, dass die Grenze zwischen Original und Adaption mitunter verschwamm. Wie Handrij Zejler schuf Nawka selbst Melodien zu einigen seiner poetischen Texte. Mit seinem Humor und seiner Volkstümlichkeit stand er allerdings abseits der Haupttendenzen sorbischer Lyrik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Als Publizist und Minderheitenpolitiker war Jan Skala (1889–1945) zwischen den Weltkriegen bei den Sorben ohne Konkurrenz. In Nachfolge des Klassikers Æišinski hatte er 1910 als junger Dichter debütiert. Gerade weil Skala zeitlebens außerhalb der Lausitz wirkte (vor allem in Prag und Berlin), wurde die Verbundenheit mit der Heimat und ihren Menschen zu seinem zentralen Thema. Seine zarten Liebesgedichte gehören zum Besten, was auf diesem Gebiet in Sorbisch geschrieben wurde. Auch hinsichtlich der Prosa hatte man nach Erscheinen der Novelle „Stary Šymko“ („Der alte Šymko“, 1924) in Skala große Erwartungen gesetzt. In dem Text wurden erstmals die negativen Auswirkungen des Braunkohlenbergbaus literarisch dargestellt. Der Autor beurteilte die wirtschaftliche Ausbeutung der mittleren Lausitz, die zu Umsiedlung und Überfremdung führte, vom moralischen und vom nationalen Standpunkt. Skala, der in der Nazizeit als sorbischer Journalist schwer zu leiden hatte, kam 1945 in Oberschlesien bei einem Streit mit sowjetischen Soldaten tragisch ums Leben.

Auch Józef Nowak (1895–1978) begann 1910 im Sinne Æišinskis Gedichte zu schreiben. Die patriotischen Traditionen äußerte der katholische Pfarrer in einer dynamischen, expressionistischen Sprache. Durch den Studienort Prag begünstigt, wandte er sich tschechischen Vorbildern – etwa Petr Bezruè – zu. Durch Mahnung und Appell wollte er das sorbische Volk zum Glauben an Gott und Vaterland bewegen. Józef Nowak stand auch als Dramatiker bewusst in der Nachfolge Æišinskis. Ihn begeisterte die Vision eines sorbischen Nationaltheaters. Mit seinen frühen Stücken „Posledni kral“ („Der letzte König“, 1916) oder „Swobody njewjesta“ („Die Freiheitsbraut“, 1919) wollte er gleichfalls die sorbische Identität durch den Verweis auf eine heroische Vergangenheit stärken. Der wieder belebte romantische Mythos verlieh Nowaks Werken Ende der zwanziger Jahre, als Deutschland einer totalitären Diktatur entgegenging, besondere patriotische Kraft.

Ota Wiæaz (1874–1952), nach Arnošt Muka der zweite wichtige Sorabist der Zwischenkriegszeit, erblickte in der alten, bäuerlich-patriarchalischen Ordnung die Grundlage für den Erhalt des Sorbentums. Wiederum ganz im Sinne Æišinskis plädierte er dafür, „keine Handbreit sorbischen Bodens“ an Fremde zu verkaufen. Den Assimilationserscheinungen in Sprache und Kultur suchte der Gymnasiallehrer mit schlichten literarischen Formen zu begegnen. Seine etwa 100 Gedichte entstanden zu konkreten Anlässen, seine Erzählungen haben vor allem Unterhaltungswert. Als Kritiker beurteilte Wiæaz die sorbische Literatur sowohl vom nationalen als auch – in geringerem Maße – vom ästhetischen Standpunkt. Mit seinen zahlreichen Arbeiten zur Literatur- und Kulturgeschichte sowie zur Volkskunde war er einer der letzten vielseitigen „Jungsorben“.

Den Schritt zur Kolportage in der sorbischen Unterhaltungsprosa ging am Ende der zwanziger Jahre der Zisterzienserpater Romuald Mik³awš Domaška (1869–1945). Unzufrieden mit der originalen und übersetzten Literatur in der sorbischen Tageszeitung, schrieb Domaška Erzählungen und Romane, die gern in Fortsetzungen gedruckt wurden. Er wandte sich darin gegen die chauvinistische Abwertung sorbischer Kultur und Geschichte von deutscher Seite. Mit seinen lebendigen fantasievollen Beschreibungen früherer Ereignisse trug Domaška zur Ausprägung des sorbischen historischen Romans bei, an dem sich vor 1900 schon Jurij Winger versucht hatte. Allerdings verleitete der Glaube an die moralische Ordnung der Welt den Theologen zu einer durchweg schematischen Figurengestaltung.

Auch aus den frühen Dramen und Erzählungen von Marja Kubašec (1890–1976) spricht die Absicht, nach dem Vorbild der slawischen Romantik historische Stoffe zu aktualisieren, den Stolz auf die sorbische Vergangenheit zu lenken. Die Novelle „Wusadny“ („Der Aussätzige“, 1922/23) wurde zum ersten größeren Prosatext nach 1918. In dem gereimten, lyrischen Schauspiel „Chodojta“ („Die Hexe“, 1925) projizierte die erste sorbische Lehrerin die psychologische Analyse auf einen mittelalterlichen Hintergrund, der durch fantastische Elemente bereichert ist. Marja Kubašec erzielte im Schüler- und Laientheater der zwanziger Jahre beachtliche Erfolge. Nach 1945 erlebte sie eine zweite fruchtbare Schaffensphase, in der sie vorwiegend historisch-psychologische Prosa verfasste.

Vor allem die sorbische Dramatik ist nicht durch eine kontinuierliche Gattungsentwicklung gekennzeichnet. Häufig waren die Bedürfnisse sorbischer Vereine mit ihren etwa 30 Theatergruppen Anlass für die Schaffung neuer Stücke. Der Lehrer und Schriftsteller Jurij Wjela (1892–1969) betrachtete das Theaterspiel als „hohe Schule“ nationaler Erziehung. Obwohl seine originalen dramatischen Texte in den dreißiger Jahren entstanden, wählte auch er nach romantischem Muster die frühe Lausitzer Geschichte als Gegenstand. Mit drei Dramen hinterließ er gleichsam einen Zyklus über das Schicksal der unteren sozialen Schichten in der Epoche des Feudalismus. In der Nazizeit verschlüsselte er – wie andere Autoren – seine politischen Ansichten auf künstlerische Weise: Wjela nutzte mythische Wesen als Protagonisten, mithilfe allegorischer Mittel (z. B. Drachen) erstrebte er eine Aussage auf zweiter, indirekter Ebene.

Der Lyriker Jan Lajnert (1892–1974) besaß mit der flachen Heidelandschaft nördlich Bautzens eine eigene poetische Welt, die er in sehr subjektiven Versen abbildete. In der Jugend hatte ihn die deutsche romantische Dichtung fasziniert. Das Interesse für die „exotische“ Seite der Heimat verband sich mit patriotischen Motiven, die gleichfalls in der Romantik wurzelten. Der Lehrer Lajnert schuf seit den zwanziger Jahren eine individuelle Naturlyrik, die sich – bei Parallelen zum osteuropäischen Vitalismus – der Moderne zuordnen lässt. Natur und Landschaft in ihrer Unversehrtheit bilden darin den optimistischen Gegenentwurf zur gefährdeten Existenz des sorbischen Ethnikums.

Der Maler und Grafiker Mìræin Nowak-Njechorñski (1900–1990) wandte sich am Beginn der zwanziger Jahre bewusst von den avantgardistischen Tendenzen der Moderne ab und einer neoromantischen Ideologie zu, welche die ursprünglichen Kräfte des Volkes stärken wollte. Professionell zu schreiben begann er 1924 als Journalist. Mit seinen provokanten publizistischen Beiträgen führte Nowak-Njechorñski Ironie und Satire bei den Sorben zu neuer Qualität, wobei der wachsende deutsch-sorbische Konflikt zu inhaltlichen Vereinfachungen beitrug. In Berichten und Reportagen aus der Lausitz, aus Deutschland und dem Ausland suchte der polyglotte Autor das Gefühl slawischer Gemeinsamkeit bei den Lesern zu festigen. In der äsopischen Sprache seiner volkstümlichen Kunstmärchen, die von Saltykow-Schtschedrin inspiriert waren, erlangte Nowak-Njechorñski Meisterschaft. Ab 1934 musste er unter Pseudonym veröffentlichen, was ihn vor einem faktischen Berufsverbot jedoch nicht bewahrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er zu den prominenten, einflussreichen sorbischen Künstlern und Publizisten.

Überraschend moderne Poesie verfasste zwischen 1936 und 1938 der Student Jurij Chìžka (1917–1944). Damit wurde die – von Æišinski um 1900 eröffnete – zweite, kunstspezifische Entwicklungslinie der sorbischen Literatur weiter ausgebaut. Chìžka knüpfte zunächst an das nationale Pathos von Józef Nowak an; aus der geografischen Distanz – er studierte in Prag – erkannte er die Gefahr für die Sorben in aller Schärfe. Er wollte sich vermittels literarischer Zeichen ein symbolisches Refugium, eine „andere Heimat“ (so der Titel einer Gedichtsammlung) schaffen. Die metaphorische Verschlüsselung der poetischen Aussage diente freilich zugleich dem Schutz von Sprache und Gedanken im faschistischen Deutschland. In der Konstruktion einer autonomen ästhetischen Welt lag die modernistische Revolte dieses Autors, der als Soldat auf dem Balkan jung starb.

In den zwölf Jahren des Dritten Reiches war selbst die anspruchsvolle deutsche Literatur in ihrer Entwicklung ernsthaft behindert. Deshalb kann es nicht verwundern, dass die sorbischen Schriftsteller 1933–1945 nur wenige Werke hervorbrachten. Infolge einer Anweisung der Amtshauptmannschaft Bautzen vom März 1937 wurde das öffentliche sorbische Leben gänzlich paralysiert; Zeitschriften und Bücher durften nicht mehr erscheinen, bald darauf wurde Sorbisch in den Schulen nicht mehr unterrichtet. Der Gebrauch der Muttersprache war auf die private Sphäre beschränkt. Umso höher sind die wenigen Zeugnisse literarischen Widerstands zu bewerten, etwa die „Kriegschoräle“ von Micha³ Nawka. Solche Aktivitäten trugen dazu bei, dass die Sorben Sprache und Kultur über nazistische Diktatur und Krieg retten konnten. Sie wahrten damit das Recht, ihre nationale Identität in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf einer neuen politischen, ökonomischen und sozialen Basis zu bestätigen.

 


 

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